Zweistimmige Invention, komponiert am 21. August 2014
Meine zweistimmige Invention ist ein tonales Stück (in g-Moll), das aus acht zweistimmigen strengen Vergrößerungskanons zunehmender Länge besteht, wobei der Intervallabstand zwischen den Stimmen mit zwei Oktaven beginnt und sich diatonisch schrittweise über Oktave+Septime im zweiten und Oktave+Sexte im dritten Kanon bis zu einer Oktave im achten Kanon verringert. Der erste Kanon hat in der (langsameren) Unterstimme nur einen Ton, und die Anzahl der Töne vergrößert sich von Kanon zu Kanon nach der Fibonaccireihe: 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34.
Das Besondere an den Kanons ist, dass die Geschwindigkeit der beiden Stimmen im goldenen Schnitt zueinander steht. Jeder Kanon besteht aus drei Teilen:
Die Großbuchstaben A und B bedeuten die im Verhältnis des goldenen Schnittes langsamere Ausführung der Teile a und b. Da im ersten Kanon die Teile a und b (bzw. A und B) aus nur einem gemeinsamen Ton bestehen, lassen sich die Teile dort noch nicht erkennen. Im zweiten Kanon wird jeder Teil durch einen Ton repräsentiert. Im achten Kanon hat Teil a (bzw. A) 21 und Teil b (bzw. B) 13 Töne.
Die Ober- und Unterstimme beginnen gleichzeitig. Die Oberstimme spielt zunächst den Teil a und dann den (im Verhältnis des goldenen Schnittes) kürzeren Teil b. Wenn die rechte Hand Teil b beendet hat, ist die linke Hand gerade mit Teil A fertig. Während die linke Hand darauf Teil B spielt, wiederholt die rechte Hand Teil a. Danach enden beide Stimmen gleichzeitig.
Das Zusammenspiel beider Hände ist nur deshalb möglich, weil jede Einzelstimme aus einer spezifischen Abfolge langer und kurzer Notenwerte besteht, wobei der längere Notenwert im Verhältnis des goldenen Schnittes zum kürzeren Notenwert steht, was grob gerechnet einem Verhältnis von 3:2 oder 5:3 entspricht. Der kürzere Notenwert der linken Hand entspricht dem längeren Notenwert der rechten Hand, und der längere Wert der linken Hand der Summe eines langen und kurzen Wertes der rechten Hand.
Bei der Ausführung dieser zweistimmigen Invention kommt es darauf an, den Rhythmus aus langen und kurzen Notenwerten fühlbar zu machen. Dass die linke Hand den gleichen Rhythmus wie die rechte Hand, nur in einem langsameren Tempo, spielt, soll auch für den Hörer nachvollziehbar sein. Dafür ist eine mathematisch exakte Ausführung des Rhythmus nicht notwendig. Vielmehr darf das Stück durchaus mit flexibler Agogik gespielt werden.
Das Stück wurde am 12. Dezember 2014 von Friedrich Rauer im Festkonzert „50 Jahre Musikbibliothek“ in der Stadtbibliothek Freiburg uraufgeführt. Die dieser Homepage beigefügte Aufnahme ist von mir selbst zu Demonstrationszwecken eingespielt. Sie ist nicht maßgeblich für die interpretatorische Gestaltung dieses Werkes. Vielmehr darf und soll der Spieler Tempo, Dynamik und Agogik vollkommen frei nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten. Daher wurde im Notentext bewusst auf jede Spielanweisung verzichtet, ähnlich wie in den zweistimmigen Inventionen Bachs.
Hermann Gottschewski
Notentext
Aufnahme